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Fließendes Wasser“

 

Erleichtert stieg ich aus dem klapprigen Mercedes, nachdem der Taxifahrer halsbrecherisch über unzählige Schlaglöcher hinweggebrettert war und ich eingepfercht zwischen Kartoffelsäcken zu meinen Füßen, einem Kanister Olivenöl auf den Oberschenkeln und einer Familienpackung Clopapier unterm Arm mit meinem Freund auf der Rückbank durchgeschüttelt wurde.

Während Nico den Monatseinkauf zu seiner Großmutter ins Haus schleppte, erkannte ich schnell, dass ein Leben hier oben im Gebirge nichts mit der griechischen Postkartenidylle von weiß gekalkten Häusern und blauen Fensterläden bei untergehender Sonne gemein hatte.

 

Ein dunkelbrauner Esel stand da in der sengenden Hitze, als hätte er den ganzen Vormittag nichts anderes getan als auf uns zu warten.

Mit seinen wachen Augen musterte er mich eingehend. Vorsichtig streckte ich ihm meine Hand entgegen und durfte zur Belohnung ausgiebig seinen Hals kraulen. Er schien es zu genießen.

Eine kleine rundliche Frau in langärmliger Bluse und schwarzem Wollrock kam mit erhobenen Händen auf mich zugeeilt. Als der wohl freundlich gemeinte Wortschwall über mir niedergegangen war, drückte und drehte sie mich wie eine Jahrmarktpuppe, um mich von allen Seiten begutachten zu können.

Stolz brachte ich mein einstudiertes „Jassu Jaja“ heraus. Die Jaja, also die Oma, strahlte bis über beide Ohren und bedeckte mein Gesicht mit unzähligen Wangenküssen. Grinsend deutete sie zu ihrem Esel und ahmte mein Kraulen nach. Ich erwiderte ebenfalls mit einem Grinsen und gab Zeichen, dass ich gerne nach dem stinkenden Esel meine Hände waschen würde.

Wort- und gestenreich schob mich die Jaja in ihr kleines, aus Felsbrocken gemauertes Häuschen. Als meine Augen sich an den Lichtunterschied gewöhnt hatten, bekamen die Begriffe karg und spärlich schlagartig eine neue Bedeutung, obwohl Nico mehrfach versucht hatte, mir die Lebensumstände seiner Oma in den Bergen klarzumachen.

 

 

Das monotone Summen konnte ich einem kleinen Kühlschrank in der rechten Ecke zuordnen, über dem fein säuberlich eine weiße gehäkelte Decke hing, die von einer kitschigen Porzellanfigur beschwert wurde.

An der gegenüberliegenden Wand war ein Alu-Spülbecken montiert, das von einem zusammengeschusterten Regal gestützt wurde. Darin schien sich der gesamte Hausrat zu stapeln.

Irritiert blickte ich mich nach einem Badezimmer um und zeigte abermals der Oma, dass ich meine Hände waschen möchte.  

„Aaaah“, rief sie und deutete auf den Plastikbehälter über dem Spülbecken.

Ich schob den kleinen Hebel nach rechts und das Wasser floss heraus. Während ich mich unbemerkt nach einem Stück Seife umsah, hielt ich meine Hände weiter unter das Nass. Auf dem Unterregal entdeckte ich eine Flasche Spülmittel. Auch wenn ich sonst nichts lesen konnte, Palmolive hatte auch hier in die Hinterwelt seinen Weg gefunden. Da gleich eine größere Menge der grünen Masse herausschoß, hatte ich Mühe, die Schaumberge unter Kontrolle zu bekommen. Akribisch reinigte ich nun meine Finger und nahm vorsichtshalber einen Nachschlag, um den penetranten Eselsgeruch loszuwerden.

Während ich den Hebel sachte wieder nach links drehte, suchte ich vergeblich nach einem Handtuch. Artig schüttelte ich meine nassen Hände kräftig in das Waschbecken aus und zuckte zusammen, denn die Jaja stand bereits mit einem kleinen Handtuch neben mir und wippte angespannt    ( GESTE)   mit der Verse auf den Betonboden.

Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts Gutes.

Demonstrativ drehte sie den kleinen Hebel wieder nach rechts unlediglich ein paar Tropfen kamen noch heraus.

In der folgenden Schimpftirade wurde ich wohl nicht gerade für den Nobelpreis vorgeschlagen.

Hilfesuchend blickte ich zu Nico, der mir endlich übersetzte, dass ich für einmal Händewaschen den ganzen Tagesbedarf der Oma verbraucht habe und wer so verschwenderisch mit dem wertvollen Wasser umgehen kann, solle es gefälligst auch wieder herbeischaffen.   

Selbstverständlich wollte ich mich behilflich zeigen und dachte dabei nicht an ausartende Probleme.

 

 

Energisch zog mich die Jaja vor die Tür und pfiff nach ihrem Esel.

Ehe ich mich versah, marschierte ich mit meinem Freund in der größten Mittagshitze über einen holprigen Pfad, um aus einem Brunnen  

mit Seil und Kurbel in Holzeimern Wasser zu holen. 

Derartige Vorgänge kannte ich nur noch aus Geschichtsbüchern.

Wir wanderten den gleichen Weg wieder zurück, bis der Esel plötzlich grundlos stehen blieb.

Während Nico vorne am Seil zog, versuchte ich zaghaft den Esel mit meinen Händen am Hinterteil anzuschieben   -   aber es tat sich nichts. Ich versuchte es durch gutes Zureden und Kraulen   -    aber auch das half nichts.

In einem unbedachten Moment, als ich resigniert tief durchschnaufte,  

drehte der Esel seinen Kopf und schleckte mir über das ganze Gesicht.

Reflexartig kniff die Augen zusammen und brachte nur ein „ooh“ heraus. 

Nico wetterte derweilen mit erhobenen Händen in den Himmel hinauf und schimpfte nun auf deutsch, ich solle mich doch nicht so blöd anstellen.

Während er vorne weiter mit aller Kraft zog und den Esel anschrie, stämmte ich mich -mit dem gesamten Gewicht meines Oberkörpers gegen das störrische Tier und schob mit beiden Händen immer weiter Richtung nach vorne.

Was auch immer es war, genauso plötzlich setzte der Esel seinen Weg weiter bedächtig fort.

 

Als wir wieder in das Häuschen der Jaja eintraten, hatte sie bereits den Tisch gedeckt und deutete mir mit einer gewissen Ironie,   

ob ich vor dem Essen vielleicht noch meine Hände oder das Gesicht waschen möchte? Vorsichtshalber hielt sie mir gleich wieder den Eimer unter die Nase.

Einen kurzen Moment haderte ich mit mir und überlegte – bis sämtliche Farbe aus meinem Gesicht gewichen war, denn in diesem Horrorszenario war ich in einer Endlosschleife gefangen, die kein Erbarmen kannte und ein Entkommen unmöglich machte.

Händewaschen – Wasser holen – Esel antreiben – Händewaschen – Wasser holen – Esel antreiben – Händewaschen

 

 

Mit gesenktem Blick setzte ich mich wortlos in Eselsgeruch eingehüllt an den Tisch.

Die Jaja lachte und klopfte mir zufrieden auf die Schulter, als hätte ich doch gerade den Nobelpreis erhalten.

 

Wenn ich heute zu Hause in meiner zivilisierten Welt wieder den Hahn aufdrehe, muss ich oft an die Jaja in den Bergen denken und bin dankbar, dass ich nicht mit einem störrischen Esel zum Brunnen laufen muss, sondern bei uns das saubere Wasser unaufhörlich aus der Leitung plätschert.

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