
„Der Sonnengott“
Griechischer Sonnengott mit 6 Buchstaben?
Richtig, Helios. Ich sehe, Sie kennen mich.
Gleich werden sie auf den Gedanken kommen, was für einen tollen Job ich habe, aber ich muss sie leider enttäuschen, denn so ein sonniger Beruf ist das oft gar nicht.
Da gibt es die einen, die es gar nicht erwarten können mich endlich am östlichen Horizont zu erblicken, um vielleicht ihrem gewohnten Alltagstrott wieder nachgehen zu können oder genau auf diesen Tagesanbruch gewartet haben, da ein wichtiges Ereignis, wie die Bekanntgabe einer Prüfungsnote oder endlich ein notwendiger Operationstermin stattfinden kann.
Aber es gibt auch die anderen, die sich stöhnend unter ihren zerwühlten Bettlacken nach einer durchzechten Nacht mit wüsten Beschimpfungen, furchteinflösenden Grimassen oder – tatsächlich schon dagewesen - mit einem nach oben zeigenden Mittelfinger demonstrativ von mir abwenden, wenn ich es zu vorgerückter Stunde wage und freundlich durch ihre Fensterläden hereingrinse.
Manchmal möchte ich genau das Gleiche tun, denn vielleicht können Sie sich vorstellen, dass so eine Reise in einem vierspännigen Wagen täglich von Ost nach West auch nicht die bequemste Art der Fortbewegung ist. Selbst der nächtliche Rücktransport in einer goldenen Schale an den östlichen Punkt des Okeanos ist auch nicht mit tiefenentspanntem Schlaf gleichzusetzen. Immer ruckelt und schuckelt es mich durch, denn irgendwelche dynamisch gefederten Sitzpolster mit verstellbarer Rückenlehne sind menschlicher Erfindungskram und nützen mir persönlich leider gar nichts.
Die Tatsache an sich, nur von Ost nach West zu reisen und dafür Sorge zu tragen, dass die leuchtenden Strahlen die Erde erreichen, stellt kein größeres Problem dar.
Aber, haben Sie auch nur die Spur einer Ahnung, wieviel Bittstellungen und Anträge täglich hier eingehen?
Ich könnte ein Heer von Sekretärinnen beschäftigen, um die dringenden und außergewöhnlichen Wünsche der Menschheit entgegenzunehmen.
Die einen brauchen nur Montag Abend ab 18.00 Uhr schönes Wetter zum Grillen mit den Arbeitskollegen.
Die meisten Familien benötigen dafür den ganzen Samstag volle Kanne Sonne, da sie jede Minute am See auskosten wollen.
Der Kegelausflug hingegen möchte an dem verlängerten Wochenende im Mai, oder wahlweise das dritte Wochenende im Juni bereits ein paar Tage vorher Sonne, um bei der Bergwanderung nicht im Sumpf der Almwiesen abzurutschen.
Und die ausgefuchsten Festzeltbetreiber bitten flehentlich ihre Umsätze auch noch im Oktober durch die Einnahmen in großräumig angelegten Biergärten mit meiner Hilfe steigern zu können.
Sehr penetrant und gnadenlos sie die Hochzeitsgesellschaften. Da bestellt jeder nur allerschönstes Kaiserwetter und das am besten 24 Stunden am Stück. Das fängt schon in aller Herrgottsfrüh an. Bevor meine tägliche Arbeit beginnt, hat die holde Weiblichkeit geschlagene zwei Stunden beim Friseur verbracht und erwartet mich sehnsuchtsvoll dann an der Ladentüre, damit die aufwändige Haarpracht nicht dahin ist, bevor wertvolle Erinnerungsfotos in prunkvollen Parkanlagen geschossen wurden.
Beim Auszug aus der Kirche habe ich ebenfalls Spalier zu stehen und bis zum Sektempfang wird mir auch keine Verschnaufpause gegönnt. Wenn dann beim Kaffeekränzchen alle damit beschäftigt sind, endlich etwas essbares in sich hineinzustopfen und mir sowieso keiner Beachtung schenkt, und ich endlich eine kleine Ruhepause einlegen könnte, stehen die Wirtsleute flehend auf der Matte, dass das Brautverziehen unbedingt im Freien stattfinden muss, damit sie in Ruhe den festlichen Saal für das Abendessen eindecken können.
Unangefochten auf Platz Eins stehen beim Bitten nach Sonne jedoch die Urlauber.
Jeder scheint darauf getrimmt, das Schlagwort Multitasking – was auch immer es genau bedeuten mag, übertreffen zu müssen. Bei mir gibt es weder Skypen oder die absurde Abmachung 24-Stunden-online erreichbar sein zu müssen. So viele Tausend Jahre hat es ohne diesen Firlefanz funktioniert.
Ich bin überzeugt, dieser technische Kram hat einen spektakulären Hintergedanken, aber was ist der Menschheit dabei abhanden gekommen?
Einfach einen Moment innehalten, die Schönheiten der Natur genießen oder jemandem ein sonniges Lächeln schenken? Ist das wirklich so schwer geworden?
Und wehe, diese multitasking überarbeiteten Geschöpfe entfliehen einmal im Jahr ihrer täglichen Dauerschleife. Dann kommt es zu einem Supergau. Ja, ja, schon richtig gehört.
Der schlimmste, denkbare Störfall im menschlichen Gehirn setzt ein.
Dabei müssen diese abgeschundenen Kreaturen in dieser arbeitsfreien Zeit weder auf Nahrungssuche gehen, noch stundenlang in ihren zusammengeschweisten Eisenkartons über den glühenden Asphalt zu wichtigen Terminen kriechen. Sie könnten auch einfach diese kleinen Apparate, in die sie ständig hineinglotzen oder hineinbrüllen, beiseite legen.
Scharenweise strömen also ausgemergelte Bleichgesichter im Stundentakt auf dem Land-, oder dem Luftweg in meine geliebte Heimat mit ihren 3.000 vorgelagerten Inseln und erwarten, dass ich täglich, ausnahmslos ihnen persönlich die wunderschönsten und kraftvollsten Strahlen zur Verfügung stelle.
Sie können mir glauben, auch mich schlaucht so eine Saison.
Ich als Sonnengott bin gerne bereit Tag für Tag mein Bestes zu geben, damit die Menschen in ihrem Herzen die Sonne und den Sommer spüren können. Aber oft erscheint mir diese Aufgabe wie ein Himmelfahrtskommando, denn wenn man jemanden einen kleinen Sonnenstrahl schickt, krabscht er gleich nach dem ganzen Sonnenbrand.
Wie aufgehängte rote Chilischoten zum Trocknen liegen sie dann aneinandergereiht auf ihren Handtüchern und scheinen einem ausgeklügelten Zeitplan zu folgen. Bevor ich nicht den höchsten Punkt überquert habe, darf sich keiner bewegen. Habe ich diesen Höchststand erreicht und das Kirchengeläut setzt ein, drehen sich alle im Uhrzeigersinn und verlassen diese Position erst wieder, wenn ich mich am westlichen Horizont in den Feierabend verabschiede und meine Schwester Selene die Mondschicht übernimmt.
Die einen spüren ihren krebsroten Rücken sofort und die anderen wollen ihre verbrannten Stellen gar nicht bemerken, denn der Gedanke Urlaub gleich Sonne scheint so in ihnen verankert, dass sie unbelehrbar am nächsten Morgen wieder mit ihren Tüchern an den Strand hetzen, als gäbe es ein sattes Preisgeld zu gewinnen.
An diesem Punkt fängt dann bei mir der Gallensaft an Achterbahn zu fahren und ich möchte am liebsten … doch dann erscheint meine Schwester Eos und bringt mich von meinem Vorhaben ab, indem sie ein imposantes Morgenröteschauspiel abgibt, an dem ich mich gar nicht sattsehen kann und meinen Ärger vergesse.
Es ist für mich belustigend zu beobachten, dass es für die Menschen weitaus schwieriger erscheint, sich Zeit zu nehmen, anspruchslos den Moment genießen, einfach im Hier und Jetzt zu sein und den weisen Geschichten der Meergottheiten zu lauschen, als zu versuchen Kokosnusspalmen am Nordpol zu züchten.
Aber - ob Sie es nun glauben können oder nicht, es gibt tatsächlich doch noch jemanden, der sich Regen wünscht.
Vereinzelt sind es ein paar Schüler im Schulandheim in der Hoffnung, nicht irgendwelche Höhenzüge erklimmen zu müssen. Oder die weniger Sportbegeisterten, die nicht für einen Leichtathletikwettkampf im Freien trainieren wollen.
Also, wen ich meine, sind die Kleinen Kinder wenn sie neue Gummistiefel bekommen und diese auf der Stelle ausprobieren müssen. Diese flehenden großen Kulleraugen, die sie nichts sehnlicher wünschen, als dass ich einfach von der Bildfläche verschwinden möge. Sie erbitten dann aber keinen normalen Schauer, nein, sie erwarten einen kräftig anhaltenden Platzregen mit Überschwemmungspotential.
Aber nur unter uns. Auch ich bin neugierig und lasse es mir nicht nehmen, hinter ein paar tiefschwarzen Regenwolken hervorzulinsen und diese Engelsgeschöpfe dabei zu beobachten, wenn sie jauchzend und ausgiebig in den Pfützen herumspringen und freudestrahlend in den größten Schlammlöchern wie Könige herumstolzieren.
Dann entsende ich gerne ein paar besonders auserwählte sonnige Grüße, die sich zu einem wundervoll leuchtenden Regenbogen über der Erde verbinden.
Keine Angst, auch wenn ich hier gerne dem Regengott Pluvius den Vortritt lasse, habe ich nicht vor, meinen Job an den Nagel zu hängen.
Denn ehrlich gesagt, es gibt für mich nichts Größeres und Schöneres, als ein sonniges Lächeln auf die Erde hinunterzuschicken, um dann diesen magischen Moment auszukosten, wenn es irgendwo auf der Welt erwidert wird.
Probieren Sie es doch gleich hier und jetzt mal aus und Lächeln sie einfach.
Danke, so sieht die Welt doch schon viel sonniger aus und auch ich, Helios – ihr Sonnengott freue mich, wenn ich Ihnen ein Stück Sommer in ihre Herzen zaubern konnte.

